Seit einem viralen Video des Briten Tom Scott wird die Erlenbacher Schützengesellschaft weltweit abgefeiert.
Es knallt und es riecht nach Schiesspulver. Im Clubhaus wird das erste Skirennen der Saison auf Leinwand übertragen, am Abend gibts Fondue. «Ausschiesset» in der Schiessanlage Brünnlisau, Saisonabschluss. Wer nicht schiesst, der sitzt auf der Terrasse. Ein Bild, wie man es kennt in der Schweiz, vom Toggenburg bis ins Simmental. Bloss, dass die abgeschossenen Kugeln aus den Gewehren der Erlenbacher Schützen über eine vielbefahrene Strasse donnern, ein Brite darauf aufmerksam wurde und die Schützengesellschaft Erlenbach-Wimmis über Nacht berühmt gemacht hat.
Über drei Millionen Views zählt das Video mittlerweile, «schon wieder einer am Filmen?», heisst es am Samstag auf der Schiessanlage Brünnlisau. Und an den Präsi gerichtet: «Wirst du jetzt ein TV-Star?». Der Grund für den Aufruhr: Der Brite Tom Scott, seines Zeichens Youtuber mit über viereinhalb Millionen Abonnenten, drehte ein rund fünfminütiges Video über die Schiessanlage Brünnlisau und deren Schützen. Wer schon mal während des Schiessbetriebs ins Simmental gefahren ist, versteht vielleicht den Grund.

Staunen und mutmassen
Die Simmentalstrasse quert nämlich quasi die Flugbahn der abgeschossenen Projektile. Das knallt gehörig, auch bei geschlossenen Autofenstern. So weit, so ungewöhnlich. Allzu viel passiert dabei jedoch nicht. Die Schützen schiessen aus der Liegeposition, eine Mauer verhindert, dass die Kugeln die vorbeifahrenden Autos treffen. Spektakulär ist das trotzdem.

Dementsprechend aus dem Häuschen ist der englische Youtuber. Waffen und Wochendverkehr – für die Briten will das nicht so recht zusammenpassen. In seinem Videobeitrag erläutert Tom Scott jedoch, wer in Erlenbach schiessen darf und warum das ohne Zwischenfälle funktioniert. Und auch seine Anhängerschar bringt sich ein und kommentiert, warum ein solches Konzept in der Schweiz funktionieren kann.


Disziplin und Regeltreue seien stark verankert in der Schweizer Kultur, schreibt ein User unter das Video. Ein anderer zeigt sich erstaunt über das «interessante Konzept». Und er schlussfolgert, dass gründliches Training dazu führe, dass der Schiessbetrieb so sicher durchgeführt werden könne.
Noch kein Run auf die Schützengesellschaft
In Erlenbach nehmen sie den Rummel derweil gelassen. Sie reissen Sprüche und diskutieren, ob man jetzt Stefan Stucki, dem Sekretär, den Zusatz Mediensprecher verleihen sollte. Auskunft gibt dann aber doch der Präsident, weil der Sekretär weiter muss, nach Höfen, Schiessen natürlich. Er sagt, manchmal habe er schon genau hinhören müssen, wenn Tom Scott ihn mit seinem britischen Akzent etwas gefragt habe. Er bricht in Gelächter aus, wenn man ihn als Youtube-Star bezeichnet, soweit kommts noch. Schliesslich habe Tom Scott das Video hochgeladen und nicht sie.


Edwin Karlen ist seit fünf Jahren Präsident der Schützengesellschaft Wimmis-Erlenbach. Der gelernte Sanitärinstallateur freut sich über die Aufmerksamkeit, die dem Schiesssport so zukommt. Hin und wieder knallts, der Schützenverein hat 160 Mitgliederinnen und Mitglieder. Rund 90 haben eine offizielle Lizenz des Schweizer Schiesssport Verbandes, 60 bis 70 trainierten regelmässig, schätzt Karlen. Am Vereinsleben werde sich nichts ändern, sagt Karlen. Zwar seien die Reaktionen auf das Video zahlreich gewesen, unter anderem interessierten sich Studenten einer österreichischen Hochschule für das Messsystem, das in der Anlage Brünnlisau installiert ist – Neumitglieder rannten ihm aber noch nicht die Bude ein.

Schliesslich, und das weiss man auch in Erlenbach, ist das Internet kurzlebig. Lieber als verzweifelt zu versuchen, auf den Zug aufzuspringen und den Insta-Account aufzupeppen, sitzt man nach dem Schiessen beim Bier auf der Terrasse. Der Fernseher im Clubhaus ist ausgeschaltet, Lara Gut-Behrami aufs Podest gefahren, und die Mutter einer Jungschützin erzählt von einem Gleitschirmflieger, der auf der Wiese vor der Schiessanlage landen wollte.

